Gissigheim (Baden-Württemberg)

Datei:Königheim im Main-Tauber-Kreis.png Gissigheim ist heute ein Ortsteil der Stadt Königheim im Main-Tauber-Kreis - wenige Kilometer südwestlich von Tauberbischofsheim gelegen (Kartenskizze 'Main-Tauber-Kreis', F. Paul 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die Wurzeln der kleinen jüdischen Gemeinde in Gissigheim liegen vermutlich in der Zeit um 1600; erstmals wurden jüdische Bewohner in Gissigheim 1612 genannt. Kurz vor dem Dreißigjährigen Krieg wird eine private Betstube im Dorf erwähnt.

Von 1675 bis in die 1720er Jahre suchten auch die Juden aus dem Nachbarort Königheim den Betsaal in Gissigheim auf; als dann wieder Gottesdienste in Königheim abgehalten wurden, bediente man sich zuweilen des Gissigheimer Vorsängers. 1837 ließ die Kultusgemeinde einen neuen Synagogenraum einrichten, der in einem Hintergebäude in der Schlossstraße untergebracht war und bis in die 1890er Jahre gottesdienstlichen Zwecken diente. 

Mit der Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war im 19. Jahrhundert zeitweise ein jüdischer Lehrer betraut; bereits 1716 soll in der Gemeinde ein „Judenschulmeister“ tätig gewesen sein.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20341/Gissigheim%20ABl%201836%20832.jpg 

 Anzeigen im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den See-Kreis" von 1836 und vom 16.9.1854

Verstorbene Gemeindeangehörige wurden anfänglich in Wenkheim, danach in Külsheim bestattet, ab 1875 stand dann am Eulenberg ein kleinflächiges Beerdigungsgelände zur Verfügung.

Die Gissigheimer Gemeinde gehörte nach 1827 dem Rabbinat Wertheim an.

Juden in Gissigheim:

          --- 1780 ...........................  21 jüdische Familien,

    --- 1825 ...........................  98 Juden,

    --- 1865 ........................... 120   “  ,

    --- 1875 ...........................  53   “  ,*   * andere Angabe: 36 Pers.

    --- 1887 ...........................  20   “  ,

    --- 1900 ...........................   4   “  ,

--- 1928 ...........................   keine.

Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, ..., S. 110

und                 J. Hahn/J. Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ..” Synagogen in Baden-Württemberg, S. 254

 

Die jüdischen Familien lebten vor allem vom Handel mit Landesprodukten und Waren des allgemeinen Bedarfs. Nach 1865/1870 ging die Zahl der jüdischen Bewohner Gissigheims rapide zurück; um 1895 wurde die Gemeinde schließlich aufgelöst.

                 Über das Ende der Gissigheimer Gemeinde erschien in der Zeitschrift „Der Israelit” vom 31.12.1894 der folgende Nachruf:

Eppingen, 24. Dezember. Die Gesetze über die bürgerliche Gleichstellung der Juden und die Freizügigkeit sind in Deutschland neuzeitliche Errungenschaften, für welche wir den leitenden hohen Regierungen und Volksvertretungen, die unser Recht anerkannten, zu stetem Dank verpflichtet sind. Doch stehen auch den dadurch erzielten Vorteilen ... auch nur wenige Schattenseiten gegenüber. Zu diesen gehören unstreitig auch in der vorderen Reihe die bedauernswerte Wahrnehmung von der Auflösung so vieler großen und mittelgroßen israelitischen Landgemeinden. So lese ich heute mit Wehmuth, daß die israelitische Gemeinde Gissigheim, Amts Tauberbischofsheim, (mit nur noch einer Witwe und einer ledigen Person), durch allerhöchsten Erlaß aufgelöst wurde. Als Einsender dieses im Jahre 1860 unmittelbar nach der Entlassung aus dem Schullehrerseminar den Dienst als Lehrer, Cantor und Schochet übernahm, wohnten 33 israelitische Familien in Gissigheim, die bekanntlich alle gute Jehudim waren. Es wurde da viel gelernt und zähle ich zwanzig Lehrer, von dieser Gemeinde entstammend, welche in allen Theilen Deutschlands ihre Thätigkeit entfalteten. Außer den übrigen Chawerot, von denen sich Niemand ausschloß, wurde während meines dortigen Aufenthalts auch ein Chai Adam Verein gegründet, welchem sich die meisten Baalei Habajit anschlossen und den Zweck hatte, an den Abenden, namentlich aber am Schabbat nachmittags mehrere Stunden Vorträge aus diesem sefär zu hören, welche von dem seligen Kaufmann Maier Strauß er ruhe in Frieden und dem Einsender dieses Artikels abwechslungsweise gehalten werden. Auch der "Israelit", der Mai 1860 erstmals herausgegeben wurde, und auf welchen ich dem Wunsche meines vorgesetzten Herrn Bezirksrabbiners Löwenstein in Tauberbischofsheim (Mehora"r ["Unser Lehrer, unser Rabbiner Rabbi] Jaakow Löwenstein - er ruhe in Frieden) abonnirte, bildete eine angenehme Lektüre im Verein. Da die Gemeinde Gissigheim als solche nun zu Grabe getragen ist, erachte ich es für meine Pflicht, mit Gefühlen der Wehmuth ihr diesen kurzen Nachruf zu widmen."   E.E.

Die wenigen verbliebenen Juden suchten nun die Synagoge in Königheim auf.

Das Synagogengebäude in Gissigheim wurde zu einem Wohnhaus umgebaut (abgebrochen 2006); nur eine hebräische Inschrift über dem Türsturz erinnerte an dessen einstige Nutzung.

      https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2015/Gissigheim%20Synagoge%20005.jpg Türsturz mit hebräischer Inschrift

Der letzte jüdische Bewohner Gissigheims verstarb im Jahre 1927.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden sechs aus Gissigheim stammende Juden Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/gissigheim_synagoge.htm).

 

Heute erinnern noch 14 Grabsteine auf dem ca. 400 m² großen jüdischen Friedhofsgelände in Gissigheim daran, dass im Ort ehemals Juden beheimatet waren; der älteste Stein datiert 1878; die letzte Beerdigung fand hier im Jahre 1927 statt.

                  Jüdischer Friedhof Gissigheim (Aufn. T., 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

vgl. Königheim (Baden-Württemberg)]

 

 

Weitere Informationen:

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Stuttgart 1968, S. 110

Franz Gehrig, Gissigheim. Ortschronik aus dem badischen Frankenland, Gissigheim 1969, S. 249 - 252

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 344

Gissigheim, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 253/254